Irlmaier & Irrmeier

Novus Ordo Magazin




Irlmaier & Irrmeier – Einblicke in das Nachchristentum Teil 3

Es war ein sonderbares Erlebnis, ein ungläubiges Augenreiben, wenn man auf die Statistik der Kunden-Suchbegriffe auf der Medienplattform Amazon blickte, an jenem 24. Februar, dem Tag des Angriffs russischer Streitkräfte auf die Ukraine. Standen da mit den Keywords ‚Irlmaier’, ‚Mühlhiasl’, ‚Nostradamus’ plötzlich Namen ganz oben, von denen man geglaubt hatte, dass sie dem Tagesthemen-gebildeten deutschen Normalverbraucher doch nicht einmal bekannt seien dürften, geschweige denn, dass er sie buchstabieren könne. Alles Wundern, auch der nächsten Tage, half nichts. Zusammen mit einem weiteren Schlüsselwort, ‚Dritter Weltkrieg’, sollten sich die drei sogar noch für die ganze darauf folgende Woche in der Top-Liste halten. Eine regelmäßige Kontrolle des Bildungsportals Wikipedia bestätigte nur das Bild, genauso die Google-Suche, in der noch für Wochen neue Artikel, und immer desselben Inhalts, über den „Propheten des Dritten Weltkriegs“, Alois Irlmaier, erschienen, und das in all den „namhaften“ Blättern, die bisher gar nicht im Verdacht der Gegenaufklärung standen. – Regt sich sogleich ein anderer Verdacht: der des Geschäftemachens mit der Sensationslust und dem Prickel der Angst. Überrascht es da, wenn pünktlich zur Krise aus den Weiten des Internets verlorengegangene Wahrsagungen auftauchen, vom großen Giftangriff aus der Luft, vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee? (– Donner und Doria! Die Ukraine!). Oder dass Bücher über „sichere Zufluchtsorte“ für das bevorstehende atomare Inferno (und das sicher zu sehr fairen Preisen) für alles acht-Jahr-geschulte Volk feilgeboten werden? Man sieht sie in Gedanken vor sich, die cleveren „Vorauswisser“, während sie sich an ihren sicheren Orten in den Schlafsack gehüllt, am Weltbrand wärmen, mit der Hand auf den Buchdeckel klopfend.

Ohne Prophetie verwildert das Volk, wie der Prediger sagt – und mit manchmal auch...

Alois Irlmaier, Ostfront-Veteran des Ersten Weltkriegs, hatte furchtbare Angst vor den Russen. Wenn er seine seherische Begabung nicht gerade anderweitig nutzte, nach dem Kriege 45, dann „sah“ er seine Landsleute schon wieder in Stiefeln marschieren, wie damalige Bekannte zu berichten wussten. Ob die „präkognizierten“ Einrücktermin den Freunden, so sie sich im wehrpflichtigen Alter befanden, noch sonderliche Furcht eingeflößt haben, ist zu bezweifeln. Man wusste wohl, dass die Stärke des Alten mehr im Aufspüren von Wasseradern als in der Vorausschau von Weltereignissen lag. Irlmaiers „Wasserfühligkeit“ galt als legendär. Wenn man den Berichten Glauben schenkt, muss er der einzige Brunnenbauer südlich des Weißwurstäquators gewesen sein, hätte er doch bei seinem Talent noch alle Geologen und bergforschenden Gesellschaften arbeitslos gemacht. Zur Arbeit fuhr er nur mit dem Rad, weil es ihm beim Lenken des Autos zuoft das Steuer verriss.
Manche Brunnen, die er baute, waren 80 Meter tief, und die Erlebnisse, die dieses außergewöhnliche und so naturverbundene Handwerk mit sich brachte, müssen grandios gewesen sein. »Wind, Feuer und Wasser sind da drunten«, wusste Irlmaier. Von verborgenen Tiefenwelten konnte er berichten, von geheimnisvollen Bergkräften, den unterirdischen Wasserläufen und Luftströmungen, die die sogenannten „bellenden Brunnen“ erzeugten – und wie man daraus sogar das Wetter vorhersagen konnte. Ein einfacher, unverbildeter Waldbauernbub war er gewesen, der 1894 in Scharam bei Siegsdorf Geborene; einer wie der Mühlhiasl. Ein bayerisches Urvieh, in einer Zeit, den 50ern, geprägt von der Angst vor dem atomaren Holocaust, und Zeuge eines sich zusehens resignierter gegen die Gottlosigkeit stemmenden Christentums. In welch schroffem Widerspruch stand das römisch-katholische Altbayern der 50er Jahre zum preußisch-progressiven Norden, dieser jungen Wunderrepublik mit ihren moralischen Notstandsgebieten! Zur gleichen Zeit (in der übrigens auch die berühmte „Resl von Konnersreuth“ ihre letzten Jahre verlebte) sollte ein Pater Leppich auf dem Dach seines VW-Bullis vor Zehntausenden seine berühmten Reeperbahn-Predigten halten, über Dolce Vita und den Gestank von Weihrauch. Etwas später wird ein Hans Milch (nur noch vor Hunderten) gegen das 2. Vatikanische Konzil und vor allem: gegen den Wind predigen.

Was ist mit Irlmaiers Prophezeiungen? Was bleibt für uns?

Irlmaier gehörte einer denkwürdigen Generation an, die mehr gesellschaftliche Erschütterungen und Disruptionen (– vom Ochsenfuhrwerk bis zum atomgetriebenen Automobil in nur 60 Jahren!) erlebt hat als eine einzelne Menschenseele erfassen und verarbeiten kann. Infaltion, Krieg, Flucht (Überfremdung), zuletzt Sittenverfall und explodierender Wohlstand, sind sämtlich Dinge, die Irlmaier (†1959) in seinem eigenen Leben erfahren hat. Es bedarf hier nicht einmal einer seherischen Begabung, all diese Zeichen in Verbindung mit einem letzten, endzeitlichen Krieg zu bringen. Jeder ausreichend bibelfeste Mensch erkennt und weiß, heute noch mehr als vor 70 Jahren, dass sich in Irlmaiers Visionen das Leid, die Klage und die ganze eschatologische Sehnsucht einer sterbenden Tradition und Volkskirche Gehör verschaffen wollen. Vergleichbar mit den Visionen der Fatima-Kinder und ihrer ex eventu-Prophezeiung eines zweiten Weltkriegs.
Nein, dieser letzte, dritte Krieg, der „Bankabräumer“, und was ihm folgen soll, ist keine haltbare Prophezeiung, ist keine Vorausschau von Weltereignissen, erst recht nicht für unsere Zeit, sondern allein aus der Hoffnung und Verzweifelung zu verstehen. (Und wer könnte das besser verstehen als wir?). Es ist die Sehnsucht nach der eingreifenden Strafgerechtigkeit Gottes und der „Neuen Welt“, die pia desideria des nach Gerechtigkeit Schreienden, angereichert noch mit einer guten Portion (weit weniger frommer) Bauernkriegsfantasie: »Wenn die ganze Lumperei aufkommt, steht das Volk auf mit den Soldaten. Dann wird jeder, der ein Amt hat, an der nächsten Laterne oder gleich am Fensterkreuz aufgehängt.« Das Goldene Zeitalter, das für Irlmaier nach der großen Revolution und dem endzeitlichen Krieg unmittelbar bevorstand, trägt in kruder, einfacher Form die Züge des Tausendjährigen Reichs der Offenbarung; genauso ist die bei Sehern wie Irlmaier oft wiederholte Ankündigung einer „dreitägigen Finsternis“ (Große Trübsal) ein wesentliches Element jüdisch-christlicher Endzeitvorstellung und es bedeutet einen Betrug an den Menschen, diese Ereignisse aus ihrem biblisch-eschatologischen Kontext herauszureißen und in eine säkulare Ereignisfolge zu stellen.

Wir wissen heute, dass der „Aufhalter“ Geduld hat, dass die Zeiten, da Gog und Magog entfesselt sein werden, noch nicht gekommen sind. Die „rote Gefahr“ droht hier und heute nicht aus dem Osten (von den Russen her), sondern von anderenorts. Das 21. Jahrhundert steht heute vor einer anderen Gefahr, von der Irlmaier nichts wissen konnte: Unsere Welt erwartet ein neuer, langwieriger, aber doch endzeitlicher Kalter Krieg. Wir wissen, dass alles, was in der Ukraine passiert, nur stellvertretend geschieht und bereits Teil dieses neuen Krieges ist.

Wer sich über die hochspannende und sympathische Person Alois Irlmaier – nicht informieren – aber schöngeistig unterhalten lassen will, dem sei hier das Buch von Wolfgang Johannes Bekh empfohlen – urbayerisch, versteht sich.